-  2017 DIAMOND FIELD PART I, Artmax Braunschweig

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field view

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on field view, center position

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field drawing nr.93

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field legend, writing and drawing

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field detail, base position

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on field view 2

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field drawing

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installation view

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field drawings, concepts of the field and position sketches, each 21x29,7cm, framed

field drawings, concepts of the field and position sketches, each 21x29,7cm, framed

field drawig, 21x29,7cm

field drawig, 21x29,7cm

DIAMOND FIELD (PART I), folded and stapled, mobile state of the field

DIAMOND FIELD (PART I), folded and stapled, mobile state of the field

Diamond FIeld Part I /side 1 (static and mobile state)
foldable four part system, double sided
paper, pvc, ballpoint pen
89qm


Kraftfelder
Andreas Bee

Vor beinahe 40 Jahren formulierte Rupert Sheldrake eine Hypothese, die zunächst für einiges Aufsehen sorgte und heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Der britische Biochemiker und Zellbiologen beschäftigte sich mit der Frage der Entstehung der Formen in der Natur. Nach seiner Auffassung sind es sogenannte morphogenetischen Felder, die die Entwicklung von Strukturen und Formbildungen beeinflussen. Jede Gestalt und jede Art der Dinge hängt seiner Meinung nach von diesen Feldern ab. „Jedes natürliche System einer bestimmten Art besitzt sein eigenes spezifisches Feld“(1) Morphische Felder als Formbildungsursache sind „wie die bekannten Felder der Physik, nichtmaterielle Kraftzonen, die sich in Raum und Zeit ausbreiten und in der Zeit andauern. Sie befinden sich innerhalb und in der Umgebung des Systems, welches sie organisieren.“(2)

Als ich zum ersten Mal die Arbeit „Diamond Field Part I“ von Nico Pachali im Atelier sah, kam mir Sheldrakes Überlegungen in den Sinn. Mein Eindruck, hier habe einer auf bildkünstlerischer Ebene ein verwandtes Gespür für Formbildungsprozesse im Allgemeinen und ein ähnliches Interesse für Kräfteverhältnisse und Konstellationen im Besonderen, besteht bis heute. Wenn Rupert Sheldrake, vereinfacht gesagt, danach forscht, was einem Kaninchen seine Kaninchenform gibt, dann geht Nico Pachali der Frage nach, was eine sich stetig wandelnde künstlerische Form für Kraftfelder zu erzeugen in der Lage ist. Felder, die man deutlich wahrnehmen, aber physikalisch nicht erklären kann, weil vieles von dem, was wir persönlich erfahren, offenbar ebenso wie das, was wir unter Bewusstsein verstehen, jenseits traditioneller naturwissenschaftlicher Methoden angesiedelt ist. Alles, was man bei der Arbeit „Diamond Field Part I“ zunächst sieht, ist eine große, begehbare Fläche aus Papier und Klebeband mit roten Zeichnungen darauf. Diese mit einem billigen, kleksenden Kugelschreiber gefertigten Zeichnungen erinnern an futuristische Flugobjekte oder evozieren ganz allgemein technoide Assoziationen, die sich sämtlich um das gleiche Thema zu drehen scheinen, aber letztlich kaum zu entschlüsseln sind. Angefangen habe alles damit, sagt Nico Pachali, dass er begonnen habe, sich für Baseball zu interessieren. „Ein unfassbar langweiliger Sport, wenn man ihn z.B. im Fernsehen oder Stadion sieht, wirklich - super langweilig. Eigentlich passiert nichts, außer immer wieder das Gleiche. ... Irgendwo in diesen Situationen liegt eine eigenartige Ruhe und Kraft. Irgendetwas darin ist für mich ein Geheimnis. ... Ich denke es braucht wesentlich mehr Energie und Ausdauer immer wieder das Gleiche zu tun, als immer wieder etwas Neues zu beginnen.“(3) Hinzu kommt, daß die Form des Baseball-Spielfeldes symmetrisch aufgeteilt ist und eine Diamantenform aufweist. Die Form des Spielfeldes mit seinen Base-, Foul- und Grass Linies, mit seinem Our- und Infield und weiteren Unterteilungen liegt vielen Zeichnungen zu Grunde. Dass die Bodenarbeit in sich die Möglichkeit der Wandlung trägt, legen zahlreichen Arbeitsspuren nahe. Schnitte und Faltspuren deuten darauf hin, dass hier nicht alles immer so war, wie es nun erscheint und wahrscheinlich auch nicht so bleiben wird, wie wir es gerade erleben. Ganz offensichtlich ist neben der aktuellen Präsenz die Möglichkeit der Veränderung von zentraler Bedeutung. Und tatsächlich faltet Nico Pachali die vier Stücke, aus denen das Gesamtfeld besteht, irgendwann wieder zusammen. So muss bei der aufgefalteten Fläche immer gleich ihre aus der Faltung resultierende dreidimensionale Körperform mitgedacht werden. Denn diese ist eine gleichberechtigte Variation des substanziell unveränderten Werkes. Man könnte sagen, es ist dieselbe Arbeit. Einmal in einem immobilen und dann in einem mobilen Zustand. Zwei sich bedingende Zustände, wie Expansion und Kontraktion und wie in gewisser Weise auch die Werke vom Maillol und Giacometti. In keinem dieser unterschiedlichen Erscheinungsformen aber werden alle Aspekte anschaulich. Eine der beiden mit Zeichnungen bearbeiteten Seite ist in der flächig ausgelegten Präsentation stets verdeckt und im gefalteten Zustand lässt bestenfalls ein Zeichnungsfragment einen vagen Rückschluss auf das Ganze zu. Selbst der Raum, den die Bodenarbeiten definieren ist nur eine Momentaufnahme und alles andere als eine stabile Größe. Es ist das Paradoxon, das hier mitregiert. Denn das Ziel ist offenbar keine eindeutige Präsentationform, sondern ein Zustand, der seine potentielle Wandelbarkeit zur Schau stellt. Damit diese Wandelbarkeit sichtbar werden kann, muss stets von neuem eine bestimmte Präsentationsform gewählt werden. Zum Beispiel indem Pachali den einzelnen, zusammengefalteten Stücken für eine kurze Weile mit Kreidelinien auf dem Boden einen Ort zu geben versucht und ihnen so eine Art System oder horizontalen Lagerraum hinzufügt. Oder indem er aus Klebeband Folien herstellt, die er benutzt wie einzelne Papierbögen, die zugeschnitten und wiederum mit Klebeband zu einer Verpackung der gefalteten Stücke werden. Dabei wird die jeweilige Form der Verpackung durch die Größe des zu verpackenden Fragmentes bestimmt. So entstehen Ummantelungen, die, obwohl nach praktischen Gesichtspunkten konzipiert, nicht nur Informationen über den zu verpackenden Inhalt transportieren, sondern für sich betrachtet wie die Erweiterung des bisher benutzten Formvokabulars erscheinen. Und auch diese Hüllen bekommen wieder eine Art imaginäre Behausung. „Alle Arbeiten habe ich verpackt in den Atelierraum gelegt und die Stücke für sich allein mit Kreide umrandet. Im Raum habe ich dann durch einfache Linien einen zweiten Raum gezeichnet. Ich wollte für mich zeigen, dass ich im Kopf nicht mit dem Raum arbeite in dem ich mich physisch befinde, sondern dass ich mit einem Raum denke, den es real nicht gibt. Einen Raum, der nur für meine Arbeiten bestimmt ist. ... Ich mag den Zustand am liebsten, wo alle Verpackungen entfernt wurden und nur noch die Kreidezeichnungen übrig bleiben. ... Ich habe das Gefühl, dass ich zwar immer mit etwas arbeite, aber alles was entsteht soll die Fähigkeit haben ohne die Arbeit als Arbeit existieren zu können.“4 Kurz: In welchem Zustand sich uns das „Diamond Field“ auch gerade zeigt, es verweist nicht nur auf seine Genese und alle bereits durchgespielten Präsentationsformen, sondern ist immer auch schon wieder auf dem Sprung in einen neuen Zustand. Es befindet sich also permanent in einem Status, der vor allem die ihm innewohnenden Möglichkeiten zur Schau stellt. „Meine eigene Arbeit sollte sich im Bestfall immer in einem reinen Möglichkeitszustand befinden, in dem alles so ist, wie es in dem Moment ist, aber eigentlich zur exakt gleichen Zeit auch anders sein könnte.“5

Pachali frönt geradezu einem Aspekt der Wahrnehmung, den Robert Musil als „Möglichkeitssinn“ beschrieben hat: „Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müsste geschehen; und wenn man ihm von irgendetwas erklärt, dass es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist. Man sieht, dass die Folgen solcher schöpferischen Anlage bemerkenswert sein können, und bedauerlicherweise lassen sie nicht selten das, was die Menschen bewundern, falsch erscheinen und das, was sie verbieten, als erlaubt oder wohl auch beides als gleichgültig. ... Wenn man nun in bequemer Weise die Menschen des Wirklichkeits- und des Möglichkeitssinns voneinander unterscheiden will, so braucht man bloß an einen bestimmten Geldbetrag zu denken. Alles, was zum Beispiel tausend Mark an Möglichkeiten überhaupt enthalten, enthalten sie doch ohne Zweifel, ob man sie besitzt oder nicht; ... Es ist die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt, und nichts wäre so verkehrt, wie das zu leugnen. Trotzdem werden es in der Summe oder im Durchschnitt immer die gleichen Möglichkeiten bleiben, die sich wiederholen, so lange bis ein Mensch kommt, dem eine wirkliche Sache nicht mehr bedeutet als eine gedachte. Er ist es, der den neuen Möglichkeiten erst ihren Sinn und ihre Bestimmung gibt, und er erweckt sie. Ein solcher Mann ist aber keineswegs eine sehr eindeutige Angelegenheit. Da seine Ideen, soweit sie nicht müßige Hirngespinste bedeuten, nichts als noch nicht geborene Wirklichkeiten sind, hat natürlich auch er Wirklichkeitssinn; aber es ist ein Sinn für die mögliche Wirklichkeit und kommt viel langsamer ans Ziel als der den meisten Menschen eignende Sinn für ihre wirklichen Möglichkeiten. Er will gleichsam den Wald, und der andere die Bäume; und Wald, das ist etwas schwer Ausdrückbares, wogegen Bäume soundso viel Festmeter bestimmter Qualität bedeuten. Oder vielleicht sagt man es anders besser, und der Mann mit gewöhnlichem Wirklichkeitssinn gleicht einem Fisch, der nach der Angel schnappt und die Schnur nicht sieht, während der Mann mit jenem Wirklichkeitssinn, den man auch Möglichkeitssinn nennen kann, eine Schnur durchs Wasser zieht und keine Ahnung hat, ob ein Köder daran sitzt.“6 Worauf das hinausläuft? Wir wissen es nicht. Möglicherweise wird sich alles immer weiter verwandeln und noch viel komplexer werden. Möglicherweise springt die ganze Sache auch auf eine höhere Ebene und transformiert sich selbst in etwas völlig Neues. Diejenigen, die nicht an simplen Kausalitäten interessiert waren, sondern an der Verwandlung eines komplexen Zustandes in einen anderen, nannte man im Mittelalter und der Renaissance Magier. Ein Magier oder Magus verwandelte. Seine selbstgestellte Aufgabe bestand darin, den Übergang von einem niedrigen zu einem höheren, edleren Zustand zu bewerkstelligen. Bereits im 13. Jahrhundert lehnte Albertus Magnus die simple Kausalität, also den Gedanken „A verursacht B“, ab. Er ging vielmehr davon aus, dass nur eine Konfiguration eine andere Konfiguration zu schaffen in der Lage ist. Denn, so schrieb er, es sei ja nicht so, dass Teile des Universums andere Teile verursachen sich so oder so zu verhalten. Es sind vielmehr die Konfigurationen aller Dinge im Universum, die die Voraussetzung bilden, damit eine andere Konfiguration entstehen kann. Das sich stetig transformierende Werk lässt vermuten, dass für Nico Pachali die Wechselwirkung komplexer Konfigurationen viel sinnstiftender ist, als die Funktionalität überschaubarer Kausalitätsgesetze. Doch das ganz und gar Erstaunliche ist vielleicht, dass man bei diesem Werk nicht mehr klar zwischen Hard und Software unterscheiden kann. Für gewöhnlich bezeichnen wir die Empfindungen als Software, während die Zeichnung, das Bild, die Skulptur der Hardware gleicht. Hier nun sind beide derart ineinander verwoben, dass eine Unterscheidung schwerfällt. Denn das, was wir erfahren, erscheint mir viel beständiger und stabiler als das, was wir das „Materielle“ nennen und mit harten Fakten assoziieren. Vielleicht ist Nico Pachali ja auf dem Weg, jener Künstler zu werden, dem schließlich, wie es Robert Musil beschrieben hat, „eine wirkliche Sache nicht mehr bedeutet, als eine gedachte.

Andreas Bee, 2018


1 Rupert Sheldrake, Das Gedächtnis der Natur, München 1988, S. 11
2 Morphische Felder sind also „potentielle Organisationsmuster“.Sheldrakes Hypothese wurde in der Naturwissenschaft nach anfänglichem Interesse im Wesentlichen ignoriert und wird bis heute überwiegend als pseudowissenschaftlich angesehen. Einige renommierte Quantenphysiker allerdings, darunter David Bohm und Hans-Peter Dürr, haben für eine ernsthafte Untersuchung dieser Hypothese plädiert.
3 Nico Pachali im Katalog „infield shift“, Selbstverlag 2017
4 Nico Pachali, Fictional Studies I: Diamond Field to Isolated Building // Artist Talk Between Me and Nico Oachali, 2018, erschienen anläßlich der Meisterschülergespräche vom 22./23.1.2018 an der HBK Braunschweig.
5 ebenda